Demenzerkrankungen nehmen rasant zu. Woran erkennt man eine Demenz und wie kann man Betroffenen zur Seite stehen? Dr. Hans-Arved Willberg klärt auf...
WIE HÄUFIG IST DEMENZ?
In Deutschland leben nach jüngsten epidemiologischen Schätzungen rund 1,8 Millionen Menschen mit Demenz. Die meisten von ihnen sind von der „Alzheimer-Demenz“ betroffen. Durchschnittlich treten jeden Tag etwa 900 Neuerkrankungen auf. Die zweite Hauptgruppe nennt man „Vaskuläre Demenz“, wobei im fortgeschrittenen Stadium die Symptome dieser beiden Demenzformen nicht mehr zu unterscheiden sind. Miteinander bilden sie die Kategorie der Altersdemenz. Davon werden fast ausschließlich Personen im Alter über 60 Jahren betroffen. Die Zahl der Demenzkranken steigt dem Altersdurchschnitt der Bevölkerung entsprechend, und das Risiko, dement zu werden, wird umso höher, je älter ein Mensch ist. Der Anteil der demenzkranken Frauen liegt höher als bei den Männern; zurückzuführen ist das wahrscheinlich darauf, dass den hochbetagten Jahrgängen deutlich mehr Frauen angehören. Es gibt auch Demenzerkrankungen bei jüngeren Menschen, sie sind aber vergleichsweise sehr selten und andere Krankheitsbilder. Wenn wir heute von Demenz sprechen, meinen wir fast ausschließlich die Altersdemenz.
WIE KOMMT DEMENZ ZUSTANDE?
Etwas salopp ausgedrückt, wird eigentlich jeder irgendwann dement, nur erleben es die meisten Menschen nicht, weil sie zuvor sterben. Daraus folgt, dass Demenz in erster Linie als finaler Abbau der Gehirnleistung zu verstehen ist. Irgendwann hat es nicht mehr die Ressourcen, um sich selbst zu regenerieren. Man hat typische Symptome feststellen können, wie zum Beispiel die Verfilzung von Nervenzellen im Gehirn. Das Spektrum der bekannten Symptome reicht aber nicht hin, um damit ein geschlossenes Krankheitsbild zu beschreiben. Bei manchen Faktoren handelt es sich um eingrenzbar Krankes, bei anderen lässt sich die Grenze zwischen Krankheit und normalem Alterungsprozess nicht genau ziehen. Das gilt auch für die Unterscheidung psychischer und körperlicher Anteile. Zu den psychischen Aspekten gehört die Frage der mentalen Fitness. Es gibt Befunde, wonach Personen, deren Gehirn deutlich erkennbar abgebaut hatte, dennoch bis zu ihrem Tod in hohem Alter keine Anzeichen von Demenz aufwiesen.
„Demenz“ ist ein zwiespältiger Begriff, weil er sich aus „de“ und „mens“ zusammensetzt, das ist lateinisch und heißt „ohne Geist“. Aber lässt sich denn ein Mensch „ohne Geist“ überhaupt denken? Wir gehen heute davon aus, dass Körper und Geist in einem sehr engen Bezug zueinander stehen und jedenfalls nicht voneinander zu trennen sind. Zu Recht sprechen viele darum auch lieber von „Desorientierung“ statt von „Demenz“.
Demenz ist in erster Linie als finaler Abbau der Gehirnleistung zu verstehen.
Der Alterungsprozess betrifft den ganzen Menschen und so wie die körperliche Degeneration des Gehirns die mentalen Fähigkeiten immer mehr zurückdrängen kann, sind Menschen oft in der Lage, sie auch durch ihre mentalen Fähigkeiten auszugleichen. Wie sich das im Einzelfall entwickelt, wird niemand genau voraussagen können. Allerdings gibt es einige Risikofaktoren, aus denen sich auf der anderen Seite auch die Hauptbestandteile der Prävention ergeben.
WIE ÄUSSERT SICH DEMENZ?
Altersdemenz wird erst diagnostiziert, wenn auffällige Symptome auftreten, die darauf hindeuten. Hierzu gehört die Vergesslichkeit, aber im Begriff „Desorientierung“ ist enthalten, dass es nicht nur um Gedächtnisfunktionen geht: Die Person kommt auf die eine und andere Weise mental mit ihrem Alltag nicht mehr zurecht.
Im Übergang zur Demenz kann das Störungsbild der „Leichten kognitiven Beeinträchtigung“ festgestellt werden. Dafür, sich zum Beispiel zunehmender Vergesslichkeit wegen diese Diagnose zuzumuten, sollte man aber gute Gründe haben, weil sich nicht vorhersagen lässt, ob eine Altersdemenz daraus hervorgehen wird oder nicht. Wird die Demenz eintreten, lässt sie sich nicht aufhalten. Wird sie nicht eintreten, kann die Diagnose aber trotzdem erheblich belasten, weil man nicht weiß, was kommen wird.
Wichtig ist jedoch, auftretende Symptome ernst zu nehmen, ohne sich voreilig darauf festzulegen, dass die Person an der Schwelle zur Demenz steht. Der Verlauf von Demenzen ist immer progredient, das heißt: unaufhaltsam fortschreitend. Wenn ein Symptom auftritt, wird es nicht allein bleiben. Die Schwierigkeiten mit dem Zurechtkommen verdichten sich. Dann wird es auch Zeit für eine sorgsame Diagnose.
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Man unterscheidet zwischen Früh-, Mittel- und Endstadium des Verlaufs. Ab dem Mittelstadium ist die Person gänzlich auf Pflege und fürsorgliche Überwachung angewiesen, weil sie nicht mehr für sich selbst sorgen kann. Das Endstadium geht in den Sterbeprozess über. Was die Person dann noch kommuniziert, zeugt ganz überwiegend von völliger Desorientierung.
Ein häufiges Problem im Frühstadium ist der Mangel an Einsichtsfähigkeit. Für Angehörige kann das zu einer schweren Zerreißprobe werden. Es mag ihnen helfen, sich bewusst zu machen, dass nicht die Verantwortungslosigkeit der Betroffenen dafür maßgeblich ist, sondern dass es sich um ein Symptom der Demenz handelt. Besonders bei Alzheimer-Dementen ist das Wahren einer intakten Fassade durchaus kennzeichnend, was leider auch beinhalten kann, dass sie so tun, als wäre nichts.
WAS KANN MAN BEI EINER DEMENZ FÜR SICH SELBST TUN?
Am meisten lässt sich vorbeugend tun, durch Vermeidung der Risikofaktoren: Gesunde Ernährung, kein Nikotin, mäßig oder kein Alkohol, kontinuierliches Fitnesstraining, vor allem auch Ausdauersport, die Pflege einer bejahenden, offenen Lebenseinstellung, Selbstdisziplin, vielfältige und herausfordernde geistige Interessen und Tätigkeiten, all das kann den Abbau letztlich nicht verhindern, aber doch hinauszögern, Einfluss auf seinen Verlauf nehmen und die geistige Frische bis zum Lebensende sichern.
Wesentlich ist auch, dass man sich frühzeitig nüchtern damit auseinandersetzt, was Altern eigentlich bedeutet, was unvermeidlich ist und wie man damit umgehen will; und dass man sich darin übt, auftretende Defizite offen mitzuteilen und Hilfe in Anspruch zu nehmen. Wenn sich dann tatsächlich ein finaler Desorientierungsprozess anbahnt, kann man unter diesen Voraussetzungen besser damit umgehen. Es stehen viele helfende Maßnahmen zur Verfügung, die den schweren Weg erleichtern.
WIE KANN MAN BETROFFENEN BEISTEHEN?
Bei fehlender Einsicht der Betroffenen haben sie sich auf die unangenehme Erfahrung einzustellen, irgendwann Entscheidungen treffen zu müssen, die nur widerwillig akzeptiert werden. Entscheidend ist, sich rechtzeitig über mögliche Unterstützung und Pflege zu informieren und dafür die einschlägigen Beratungsstellen aufzusuchen, die es mittlerweile überall gibt. Die Devise heißt jetzt: „Nicht allein bleiben.“
Sehr hilfreich ist es, wenn sich die Familie zusammentut und die Verantwortlichkeiten unter sich aufteilt. Es gilt auch miteinander früh genug die Weichen für die anstehenden höheren Pflegestufen zu stellen. Das kann sehr anstrengend werden – wer kann das leisten? Welche professionelle Hilfe können wir in Anspruch nehmen? Es sollte auch die Unterbringung in einem Pflegeheim in den Blick genommen werden, zumindest für das letzte Stadium.
Im alltäglichen Umgang mit den Desorientierten kommt es darauf an, ihnen nicht mit Erwartungen zu begegnen, die sie nicht erfüllen können, und ihnen dann Vorwürfe zu machen. Sehr zu empfehlen ist, sich in Validation schulen zu lassen: Das ist eine wertschätzende und empathische Kommunikationsmethodik, die speziell für die Begleitung Desorientierter entwickelt wurde.
WANN BRAUCHEN BETROFFENE PROFESSIONELLE HILFE?
Die professionelle Hilfe besteht vor allem in der Betreuung und Pflege. Zur Betreuung stehen eigens dafür ausgebildete Personen zur Verfügung, die sich auch schon im Frühstadium unterstützend um Betroffene kümmern können. Durch sozialtherapeutische Hilfen kann frühzeitig vieles im Alltagsvollzug so eingerichtet werden, dass die Person noch möglichst viel Selbständigkeit aufrechterhalten kann.
Natürlich kommt es auch die ärztliche Betreuung an. Die pharmakologische Forschung beschäftigt sich intensiv mit der Verbesserung von medikamentösen Hilfen; derzeit sollte man davon aber noch nicht zu viel erwarten. Es gibt Medikamente, die unter Umständen lindernde Wirkung haben können, aber aufhalten lässt sich der fortschreitende Degenerationsprozess dadurch nicht.
Das Wichtigste sind liebevolle, verständnisvolle, geduldig und sachgerecht handelnde Menschen, die bis zuletzt als treue Begleiter dafür sorgen, dass dieser Mensch sein Leben nicht einsam und verlassen beschließen muss.
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